Der gewaltige Eingang zum Ägyptischen Museum führt wie in der Totenstadt in die Tiefe, wo der Eingang ist.
Anders zwar als die Eingänge zu den Totenstädten in Ägypten, die meist mit Reliefs geschmückt sind, ist es hier Sichtbeton. Schlicht – einfach nur grauer Beton.
Welch‘ ein Kulturbruch, grummle ich und starre den grauen Block finster an.
Doch je länger, je böser ich starre, desto lebendiger wird die Wand. Sie ist mit unzähligen Spuren, Arbeits- und Blockspuren durchzogen, gegliedert in unregelmäßigen Quadern.
Auf einmal fängt auch das Betongrau an zu leben, schimmert samtig wie eine lebendige Haut.
Der Alltagsbeton wird kostbar.
Ich staune. Ich bin begeistert. Welch‘ edles Gehäuse für die ägyptischen Schätze.
Jetzt springt mich Neugier an. Wie mag es innen aussehen? Hält der Architekt dieses Versprechen durch? Diesen Anspruch: eine stimmige Fassung, ein edles Gefäß für Kostbarkeiten zu schaffen?
Denn innen im Museum herrschen ganz andere Gesetze und Notwendigkeiten. Dort bestimmen die Objekte die Architektur. Es geht um Lichtführung und Präsentation, die von der Architektur gestützt, bestenfalls in Szene gesetzt werden wollen.
Und zwar: individuell. Jedes einzelne Objekt ist eine Persönlichkeit, geformt von seiner Geschichte – von seiner Zeit, seiner Funktion und von seinem Schöpfer.
Kennen wir die ägyptischen Künstler aus dem Alten und dem Mittleren Reich?
Nein, aber ihre Geschöpfe sind trotz aller statuenhafter und symbolträchtiger Tradition, trotz aller Regeln, höchst individuell.
Und das war nach der ersten Überraschung durch die Architektur des Eingangs die zweite Überraschung für mich und löste wiederum Begeisterung aus. Diesmal der Innenraum des Museums und die Präsentation. Mir scheint, der Architekt Peter Böhm konnte seinen Anspruch einlösen.
Im ersten Raum die zweite Figur rechts zog mich so in ihren Bann, dass ich immer wieder zu ihr zurückkehrte zur großen Irritation der Museumswächter, die annahmen, ich hätte mich verlaufen, weil ich immer wieder bei ihnen auftauchte.
Geduldig versuchten sie mich auf den rechten Pfad zu leiten, gaben es jedoch irgendwann achselzuckend auf.
Nicht zu ihnen zog es mich hin, sondern zu dem kleinen Torso, ca. 30cm hoch; die Reste farbiger Fassung noch zu erkennen.
Und was faszinierte mich so? Der Ausdruck der Augen!
Kein herrischer Pharaonenblick, kein träumerischer, in die Ferne schweifender einer Ehefrau, kein konzentrierter eines Schreibers, kein königlicher der Pharaonin – all diese Blicke so individuell, dass ich trotz des festgelegten Formenrepertoires die Geschichte dahinter ahnen konnte…..
Und dann dieser Blick des kleinen Torsos, der mich so gefangen hielt. Er war absolut einmalig- so etwas hatte ich in der ägyptischen Kunst noch nie gesehen. Versuche ich ihn zu beschreiben, den Stil einer Epoche zuzuordnen, käme ich auf Expressionismus, Realismus allenfalls. Die abblätternden Farbspuren unterstreichen noch den verstörenden Ausdruck.
Es ist ein Mann, vielleicht 20-25 Jahre alt, der dich aus weit aufgerissenen Augen ansieht, die Brauen in Verzweiflung nach oben gezogen.
Über Jahrtausende hinweg blickte er mich an – ein Mensch in seinem Erschrecken – keine versteinerte Statue.
Diese Statuette verbindet für mich das Damals mit dem Heute. Das Schicksal des Menschsein in seinem ewigen Kreislauf von Leben und Tod.
Leben gebunden
In Stein über Raum und Zeit
Mit bannendem Blick.